6. Februar 2012

Ich trenne mich!

Ja, Sie haben richtig gehört. Irgendwann merkt man, dass es sein muss und jetzt ist es an der Zeit. Es ist einfach das Wissen, dass es besser ist. Dass man hinterher befreiter leben kann und man sich einer riesen Bürde entledigt hat.

Ich trenne mich von meinen Besitztümern. Speziell Kleidungsstücke, die schon lange Jahre im Schrank liegen, nicht aber benutzt werden. Bisher ging der Kelch an ihnen vorbei, weil man sie ja kaum getragen hat, sie deshalb wie neu waren und somit viel zu schade, um sie zu entsorgen.
In meinem Fall handelt es sich vielfach um Pullover, die im Kaufrausch erworben, aber eigentlich nicht wirklich liebgewonnen waren: Quergeringeltes oder dieser körperbetonte Schnitt, der sich nach unten hin verjüngt und am Bauch spack anliegt. Nun sei nicht jedem geraten, seinen Körper zu betonen. Ich zähle mich dazu und so blieben einige Dinge immer im Schrank liegen. Die andere Gattung fällt unter die Kategorie "Erinnerungsstück", vornehmlich aus einem früheren Leben als ambitionierter Skifahrer. Hier handelt es sich verstärkt um T-Shirts wie mit der Aufschrift "Hard Rock Cafe Aspen" oder "Ich bin nicht tot, ich riech nur komisch". Diese wurden weitaus öfter getragen, da auch fluffiger im Schnitt, zeigen deshalb durchweg deutliche Gebrauchsspuren, die ihre Benutzung auf dem gesellschaftlichen Parkett nicht nur wenig empfehlenswert, sondern auch unmöglich machen. Gegenüber dritten wurde die langjährige Treue dieser sackartigen, im Zeitraum der späten 80er bis knapp in die 2000er hinein durchweg in Größe XL erworbenen  Körpersegel damit begründet, man könne sie ja immer noch als so genanntes Schlaf-T-Shirt verwenden. So viel KANN man nicht schlafen! Hilfsweise könnte man sich alle zwei Stunden den Wecker stellen und das Schlafgewand wechseln, um alle Schlaf-T-Shirts irgendwann mal zu benutzen -  aber wer macht das schon?
Ich machte mich also am Schrank zu schaffen und musste feststellen, dass es nicht leicht ist, sich von den Kleidungsstücken zu trennen. Mit jedem Teil, dass man in Händen hält, kommt eine andere Erinnerung. "Dieses hatte ich im Bus auf der Fahrt nach Vail an, mit jenem hielt ich meine legendäre Hüttenrede (nein, nicht Büttenrede) auf der Silvestergruppenfahrt 1998 nach Zermatt" -
und so weiter.
Eine andere Taktik musste her. "Selbsuggestion" nenne ich es. Dabei gehe ich bei jedem Teil davon aus, dass ich es wegwerfe - so als Basisvoraussetzung quasi. Und nun muss mir jedes einzelne Textil glaubhaft machen, warum ich es behalten sollte. So ging's. Mehr noch: Der Zustand steigerte sich zu einem wahnwitzigen Wegwerf-Rausch, ein Teil nach dem anderen fand den Weg in den Müllsack, meine Lust am Aussortieren steigerte sich zu einem Wegwerf-Orkan, mit jedem Kleidungsstück, das aus dem Schrank verschwand, fühlte ich mich befreiter vom Ballast, den ich viel zu lange mit mir herumtrug und am Ende waren es drei Säcke und eine Kiste voll, die die später in den Schlund des gegenüber meiner Wohnung aufgestellten Containers und gleichsam wie eine zentnerschwere Last von meinen Schultern fiel. Ich war nicht nur erleichtert, ich hatte auch ein gutes Werk getan, denn wenn auch die abgelegten Sachen mir nichts mehr nützten, so würden sie doch irgendwelchen Bedürftigen eine Freude machen und den Leib von Menschen verhüllen, die es nötiger haben als ich - dachte ich. Bis ich am nächsten Tag eines Besseren belehrt wurde. Das gute Gewissen, das sich in mir ausgebreitet hatte, sollte sich abrupt in ein Gefühl des Ekels verkehren. Warum? Lesen Sie den nächsten Bericht!

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