5. Juli 2017

Tour de France ganz nah. Oder: Angenehme Volksverdummung.

Zugegeben, sie hat mich einige Jahre nicht besonders interessiert. Sie war irgendwie uninteressant geworden. Ausgelöst hatten dieses Desinteresse an der Tour de France ganz sicher die Skandale um gedopte Fahrer und das schwindende Vertrauen in die Ehrlichkeit. Dabei meine ich eigentlich nicht die der Sportler. Denn im Radsport wurde schon immer gedopt und geleugnet. Das ist nun mal so. Aber der Umgang damit - vor allem der der Medien hatte mich ziemlich genervt. Die Journalisten, die jahrelang ihren Mund gehalten hatten, obwohl sie über die Praktiken in den Teams Bescheid wussten, liefen auf einmal Sturm. Waren vorher die Heldenstories von Altig bis Armstrong, Pantani und Ullrich das Thema der Journaille, so ging es irgendwann nur noch um Doping. Es herrschte über Jahrzehnte ein stillschweigendes Abkommen zwischen Sportlern, Funktionären und der Presse. "Ihr sagt nicht über unser Doping und bekommt von uns Eure Interviews und Stories." So einfach war das. Als dann die Kontrollen genauer und intensiver wurden und damit die Dopingfälle häufiger, wurde der Radsport systematisch geopfert. Die Presse hatte ja von all dem offiziell nichts gewusst und wurde nun Ihrer Verpflichtung gerecht, über diesen skandalösen Betrug, der uns über viele Jahre hinweg ehrlichen Sportsgeist vorgegaukelt hat, herzuziehen. Sie zerfleischte den Radsport nach allen Regelnd der Kunst. Sozusagen im Namen des Volkes aus Rache, weil es an der Nase herumgeführt wurde. Weil zum Beispiel Volksheld Ullrich den Radsport populär gemacht und für einen unfassbaren Hype gesorgt hatte. Und weil jeder diesen Hype mit trug, ihn beklatschte und unterstützte, war jeder Fan am Ende indirekt mit an dem großen Betrug beteiligt. Unwissend kriminelle Machenschaften unterstützen - für den Deutschen Michel unverzeihlich.

So lange das Eisen also noch heiß war, musste man es schmieden. Und das tat die Presse. So lange der Radsport Schlagzeilen bot, wurde er ausgeschlachtet. Dass dies nur noch negative Schlagzeilen waren - egal. Und das war der Grund, wieso es mich nicht mehr interessierte. Es kotzte mich an und so drehte ich mich lieber um, bevor ich mir dieses Trauerspiel noch länger anschauen musste. 

Dann, als es so langsam wieder aufwärts ging, fing auch ich an, wieder ein wenig Feuer zu fangen. Als die jungen Wilden aus Deutschland, die Degenkolbs, Martins, Kittels und Greipels es zumindest verstanden, den Eindruck eines sauberen Radsports zu vermitteln und auch die Presse hatte keine andere Wahl, als auf diesen Zug wieder aufzuspringen. Nicht etwa, weil deren Vertreter selber davon überzeugt sind, dass nun eine völlig andere Ära begonnen hatte. Nein, weil sie wissen, dass dies zumindest das Volk glaubt. Also darf man das Volk wieder füttern. Diesmal mit weitgehend positiven Nachrichten. Aber immer in Hab Acht Stellung. Bis es schließlich vielleicht mal wieder zum großen Knall kommt, weil ein Labor ein neues Testverfahren für ein Mittelchen gefunden hat, das bisher nicht nachweisbar gewesen ist und das alle im großen Stil nehmen - oder so ähnlich. Und so wird der On-Of-Zustand des Radsports weiterhin dazu dienen, abwechselnd Skandale und Helden zu produzieren. Und dieser Wechsel findet nicht im Radsport selbst statt, denn hier wurde und wird nach wie vor nachgeholfen, wo immer es möglich ist. Nein, es sind in erster Linie die Medien, die bestimmen, wo der Radsport steht: am Pranger oder in der Sonne. Schöne Welt des Schmus - im Übrigen eine, die man nur in Deutschland vorfindet.

Zurzeit erleben wir also wieder Mal ein Hoch. Mitgetragen natürlich durch den Tour De France-Start in Düsseldorf. Dass das Wetter dort mehr als bescheiden war, tat der Veranstaltung als solche keinen Abbruch. Kaum war ein freies Plätzchen entlang der Strecke zu finden, der einen unverstellten Blick auf die Straße zuließ. In Düsseldorf beim Prolog am Samstag sowieso aber auch am nächsten Tag, als wir in Jülich zuschauten, standen überall Menschen. Man konnte es auch im TV sehen: Die Straßen waren gesäumt von jubelnden Zuschauern, die scheinbar alles vergessen hatten, was man ihnen vor zwei Jahren noch über den Radsport erzählt hatte. Schön für den Sport. 

Jedenfalls freuten auch wir uns darauf. Wir hatten eine Einladung von Jan-Eric, unserem Gastgeber auf Mallorca, bekommen. Ein Cafe direkt am Rande der Zeitfahrstrecke war gemietet. Von dort konnte man immer mal rausgehen - meist, wenn es gerade nicht regnete - und einen Blick auf das Einzelzeitfahren erhaschen. 
Beim Zeitfahren in Düsseldorf - irgend ein Fahrer. Der Name war auch mit akribischen Recherchen nicht rauszufinden.
Drinnen wurde den ganzen Tag über bei hervorragendem Essen und Getränken gefeiert, so dass man ganz allmählich eine Zustand der inneren Überfüllung erreichte - satt und leicht angeschickert. Und dazu Weltklasse-Radsport. Einfach herrlich!
Und plötzlich stand der André bei uns in der Kneipe. In echt sieht er
gar nicht so dick aus.


Am nächsten Tag schauten wir uns quasi auf dem Rückweg nach Hause die erste richtige Etappe an. Wir hatten Glück, denn wir standen quasi in einem regenfreien Loch. Davor und danach wurden die Fahrer ziemlich gewaschen und kurz nachdem sie bei uns vorbeikamen, fing es auch hier an zu gießen. Es ist aber schon erstaunlich, was Zuschauer alles auf sich nehmen. Die Show dauert vielleicht höchstens eine halbe Minute - vom ersten des Feldes bis zum letzten. Das ganze kündigt sich ab einer halben Stunde im Voraus durch vereinzelt vorbeifahrende Fahrzeuge an. Dabei fragt sich jeder, welche Funktion diese Fahrzeuge eigentlich haben. Da fahren Teamfahrzeuge mit leeren Dachträgern vorbei, auf denen sonst Rennräder stehen. Sponsorenfahrzeuge rauschen vorüber. Man sagte mir, die Sponsoren laden oft VIP Gäste ein, die dort mitfahren dürfen. Jetzt frage ich mich aber: Was ist toll daran, fünf Kilometer vor dem Fahrerfeld die Strecke der Tour der France abzufahren, vorbei an Zuschauern, die einem noch nicht mal zujubeln, weil sie ungeduldig auf jemand ganz anderen warten?
Für diesen einen Moment also, der bedenklich kurz ist, steht man unter Umständen stundenlang am Straßenrand, immer mit der Angst, dass sich jemand vor einen drängelt. Und wenn dann das Fahrerfeld kommt, weiß man nicht, ob man jubeln, fotografieren oder ein Video machen soll. Bei der ersten Variante könnte man wenigstens noch versuchen, den ein oder anderen Fahrer zu erkennen. Fotografieren ist ganz doof. Man konzentriert sich auf irgendeinen Fahrer - von dem man hinterher versucht, rauszufinden, wer das eigentlich war. Was aber oft nicht gelingt, weil das Bild, was man unter Aufopferung jeglicher Aufmerksamkeit für die Ästhetik des Gesamt-Pelotons und der Rennsituation als solcher geschossen hat, auch noch unscharf ist. Beim Video geht es noch so gerade: Man kann das Gerät irgendwie festhalten und sich dem Geschehen widmen. Häufig allerdings konzentriert man sich doch so halb auf seine Kamera oder das Smartphone, da man dies aber eben nur so halb macht, ist das Video Kacke und mitbekommen hat man eigentlich auch nichts. Mein Video, das hier zu sehen ist, habe ich übrigens später nach strich und Faden analysiert. 
Das Fahrerfeld 
Glücklicherweise erkennt man einige der Startnummern am Rad, so dass man anhand der Starterliste den Namen des Fahrers herausfinden kann. Ohne diese kleine Hilfe stünde man hoffnungslos auf verlorenem Posten. 
Und irgendwie musste ich die ganze Zeit daran denken, was wohl passieren würde, wenn man einfach mal einen Schritt nach vorne gehen würde oder die Hand rausstreckt oder nicht richtig beim Filmen aufpasst und das Handy etwas zu weit in Richtung Fahrer bewegt. Herrje, dass da nicht mehr passiert. Und welches Vertrauen die Rennfahrer überhaupt in die Vernunft der Zuschauer haben müssen...

Mein Fazit jedenfalls: Am Besten, man reist dem Tour-Tross einfach ein paar Tage hinterher und probiert Gucken, Jubeln, Fotografieren und Filmen der Reihe nach aus. Und selbst Kirsten - ansonsten eher schwer für irgendwas zu begeistern - schlug vor, dass man doch mal bei einer Bergetappe in den Alpen zuschauen müsse, da dort die Fahrer nicht so schnell an einem vorbeihuschen. Ich dachte zunächst, ich hätte mich verhört. 

Wie auch immer, Wetter hin, Wetter her und überhaupt: Wir hatten ein buntes und unvergessliches Wochenende, das dafür sorgte, dass ich mich auf den Rest der Tour - im Fernsehen - eigentlich sehr freue.


Warten, warten warten - und bloß den Platz nicht aufgeben.
Hoch die Arme - schon mal üben, für den entscheidenden Moment



Nach dem Rennen in Düsseldorf wusste keiner mehr so recht, wo es langging.