15. Februar 2017

Fast auf Seite Eins der Bildzeitung?

Jetzt kann's ja raus. Lange musste ich etwas damit warten, um einiges Gras darüber wachsen zu lassen. Ein sonniger Tag im Oktober. Lange schon hatte ich die Idee gehabt, mit der Drohne die Rombachbrücke hier in der Nähe abzufliegen. Rund 100 m hoch und baulich sehr interessant. Da könnte man sicher gute Aufnahmen machen. Am besten noch, wenn gerade ein ICE der Linie Kassel Fulda drüberfährt. Die Bedingungen waren gut. Abendsonne, Windstille und laut Plan würde auch gleich ein Zug kommen. Dieser fuhr aber gerade über die Brücke, als der Copter drunter durch flog. Alles schien perfekt, auf dem Display konnte man schon erahnen, dass es tolle Aufnahmen werden würden.
Dann plötzlich Abbruch der Verbindung, Flimmern und noch einmal ein kurzes Bild. Mir wurde augenblicklich schlecht: Die Drohne flog direkt auf die Brücke zu. Und ich hatte die Hände nicht an den Joysticks! Dann wieder Abbruch der Verbindung. Nächstes Bild: Kies direkt vor der Linse. Klar, was passiert war: Absturz auf die Gleise. Unklar: Warum.
Und nun? Irgendwo anrufen? Feuerwehr, Polizei, Bahn? Was würde geschehen? Im schlimmsten Fall Lahmlegung des Zugverkehrs, Verhaftung, Anzeige, Ruin.
Zweifellos war der allerschlimmste Fall nicht eingetreten. Wäre ich eine halbe Minute früher unterwegs gewesen, wäre es womöglich zu einer Kollision mit dem vorbeifahrenden ICE gekommen. Dann hätte ich es sicher auf die Titelseite der Bild geschafft - was nicht viele von sich behaupten könnten.
Die andere Möglichkeit: Die Guerilla-Version. Die erschien mir doch als die geeignete Möglichkeit, wieder an meine Drohne, bzw. deren Überreste zu kommen ohne eine Nacht im Knast und den Rest meines Lebens in Armut und Schmach zu verbringen. Gemäß des Kölner Prinzips: Et hätt noh immer jooht jejange.

Jetzt galt es, einen kühlen Kopf zu bewahren, denn nur so bestand eine Chance, den Schaden und die Auswirkungen dieses Vorfalls so gering wie möglich zu halten. Das Smartphone zeigte mir an, dass der nächste Zug in etwa zehn Minuten kommen sollte. Da ließ sich wohl nichts machen. Vorher würde ich es nicht schaffen. Zumindest gab es eine Chance, dass der Copter das ganze übersteht, wenn er nämlich nicht gerade auf diesem Gleis gelandet war. Der nächste Zug würde dann eine knappe halbe Stunde später kommen - aus der anderen Richtung. Wenn also der erste ICE die Drohne nicht schon pulverisiert hatte, würde es der zweite tun.
Als nächstes: Google Maps. Wie komme ich mit dem Auto durch den Wald von oben an die Brücke heran. Auch das fand ich heraus.
Und plötzlich ein Rauschen. Der ICE aus Kassel sägte über die Brücke und mir fiel fast das Herz in die Hose. Erleichterung als er ohne jegliche Störung durchfuhr. Was wäre gewesen, wenn der Lokführer einen blinkenden Gegenstand auf den Gleisen bemerkt und eine Notbremsung eingeleitet hätte? Oder in der Leitstelle angerufen hätte, weil er gerade etwas zermalmt hat oder weil etwas auf dem Gegengleis liegt und der nächste Zug auf keinen Fall losfahren solle? Dieses Risiko musste ich jetzt in Kauf nehmen und es galt, schneller zu sein, als alle möglicherweise zu Hilfe eilenden Sicherheitskräfte.

So schnell es auf den Waldwegen ging, jagte ich den Skoda durch das Gehölz. Dabei verfuhr ich mich sogar noch, musste wenden und einen andern Weg nehmen. Mit 80 Sachen durch den Wald kostete letztendlich ein Radlager, das sich wenig später verabschiedete.
Endlich oben angekommen, die bange Frage: Kommt man überhaupt auf die Brücke? Immerhin haben sich schon diverse Menschen von derselben gestürzt und es wäre logisch, hätte man den Zugang vergittert. Auch die Möglichkeit, dass man inzwischen Kameras angebracht hat, zog ich in Betracht. Zum Glück bestätigte sich nichts von beidem. Ich rannte also los, so schnell ich konnte. Immer auf der Hut, dass nicht doch ein Zug sich nähern würde. Das wäre grundsätzlich kein Problem, denn zu beiden Seiten der Gleise war ein breiter Gehweg. Es wäre allerdings irgendwie unangenehm, wenn der Lokführer mich sehen würde. Es gab neben den etwas höher liegenden Gleisen leichte Einbuchtungen. In eine solche hätte ich mich hineingelegt in der Hoffnung, dass man mich hier nicht sehen würde. Das war mein Plan B.

Nach etwa 600 Metern auf der Brücke sah ich sie. Und ich hörte sie. Eine Art rhythmischen Alarmton und ein Blinken. Hoffentlich hatte das Leuchtsignal den Lokführer des letzten Zuges nicht auf den Plan gebracht...
Doch in diesem Augenblick hörte ich noch ein anderes Geräusch: Das Singen der Gleise.

Ich schnappte die Drohne und rannte los. Wenn jetzt ein Zug käme... und was ist mit den Luftwirbeln? Keine Zeit für Fragen. Einfach rennen. Das einzige, was ich jetzt noch tun konnte. Doch das Geräusch der Schienen war nur von kurzer Dauer. Vielleicht der nächste Zug, der in Fulda gerade losfuhr oder der vorige, der gerade bremste. Irgendwann saß ich im Auto, schweißgebadet, fix und fertig und voller Adrenalin. Nur noch ein Nervenbündel.

Zuhause verfolgte ich die Nachrichten, ob nicht von irgendeiner Störung des Zugverkehrs berichtet wurde. Nichts. Zum Glück.
Ein paar Sorgen machte ich mir nun noch um mein armes kleines Fluggerät. Dieses hatte sich einen Arm ausgekugelt, das Gelenk war gebrochen und Aufhängung sowie das Gehäuse der Kamera waren ebenfalls zerstört.
Die Teile waren leicht nachzubestellen und im Internet kursieren für so ziemlich alle Eventualitäten irgendwelche Videos. So auch zur Reparatur der Schäden.

Nach einigen Tagen war somit alles wieder behoben. Das ganze kostete weniger als 100 Euro, also vergleichsweise harmlos, wenn man bedenkt, was alles hätte passieren können. Dennoch hatte ich ab sofort Hemmungen. War eventuell noch mehr kaputt. Steuerungsteile, die man von außen nicht beurteilen konnte? Ich wartete mehrere Wochen, überlegte hin und her und schickte das Gerät dann doch dem Hersteller zur Kontrolle. Mitsamt dem Film und einer Beschwerde, denn eigentlich verfügt die Drohne über alle momentan möglichen Sicherheitsmechanismen: Sonar, optische 3D Hinderniserkennung usw. Es hätte also nie zur Kollision mit der Brücke kommen dürfen, war mein Argument.

Das Ergebnis war so ernüchtend wie erfreulich: 1. Die Reparaturen habe ich gut hinbekommen. Alles richtig gemacht.  2. Aber: Durch mein eigenes Handanlegen habe ich jeglichen Garantieanspruch verloren. Nun gut, so ist es halt jetzt. 3. Es ist nichts weiter kaputt.

Man wies mich anhand von Passagen aus irgendeiner Betriebsanleitung darauf hin, dass das Fliegen in der Nähe von Starkstromleitungen zu Störungen der Steuerungseinheiten führen könne. Das war bisher unklar, denn ich hatte mich in Foren vorher informiert und es gab keine derartigen Fälle bei Benutzern meines Modells. Und in meiner Betriebsanleitung fand ich diese Passagen nicht. Wie auch immer, man könne jedenfalls keine Ansprüche meinerseits bedienen.

Nach dem Auslesen der gespeicherten Protokolldaten durch den Support und diversen Telefonaten mit dem sehr freundlichen Service, war auch die Ursache des Crashs plausibel:

In dem Moment, als die Stromleitung genau zwischen mir und dem Copter lag, war jegliche Kommunikation zwischen Fernsteuerung und Drohne unterbrochen. Zudem waren sämtliche Sicherheits- Abstands- und Kollisionsschutzmechanismen gestört. Das einzige, was dem armen Ding in diesem Moment blieb, war der gespeicherte GPS Punkt, an dem er gestartet war. Dahin wollte er zurück. Im Video ist dieser Moment zu sehen. Die Drohne dreht sich in Richtung "Zuhause" und nimmt Kurs auf ihren Startpunkt. Auf dem Weg dorthin sind die Gleise. Es war also nicht so, dass sie sich von irgendwas angezogen fühlte und daher in Richtung Stromleitung flog. Vielmehr war es Zufall, dass das Gerät auf seinem Weg zurück oben auf die Gleise aufschlug. In diesem Fall sogar ein glücklicher Zufall, denn wäre sie gegen den Brückenpfeiler geflogen, wäre die Drohne rund 100 Meter in die Tiefe gestürzt.
Überhaupt konnte ich von einer ganze Menge glücklicher Zufälle profitieren und resümierend lässt sich sagen, dass ich noch äußerst glimpflich davongekommen bin  - oder meine arme Drohne - oder die Leute im Zug - oder oder oder...
Was wir daraus lernen: Keine spektakulären Experimente. Bloß weg von Starkstromleitungen.
Naturaufnahmen sind ja auch sehr schön :-)
So auch der zweite Film hier: Mein erster Flug nach nunmehr fast vier Monaten. Zugegeben etwas nervös war ich schon. Und das Vertrauen in die Technik muss sich erstmal wieder entwickeln. Aber dafür sind die Aufnahmen recht stimmungsvoll geworden.

Ab 1:09 kann man sehen, dass die Drohne außer Kontrolle gerät:
   

Der erste Flug nach dem Crash. Interessant ist die Struktur der Eisfläche.