25. Januar 2012

Wo bin ich hier eigentlich?


Typisch Schlitz: Viele Supermärkte, leere Gänge

An dieser Stelle ein Artikel, der der Redaktion gestern zugespielt wurde. Dass es wirtschaftlich schlecht aussieht hier in der "Toskana Deutschlands", war bis dato bekannt. Dass die Lage aber derart miserabel ist, hätte man nicht gedacht. Ein Vorteil hat die Sache: Je weniger Leute sich ein Auto leisten können, desto weniger Verkehr auf den Straßen und desto mehr Spaß macht das Radfahren. Aber lesen Sie selbst...


Geht der ländliche Raum unter?


Hans-Peter Saurwein

SCHLITZ 
Noch Ende Dezember vergangenen Jahres traten Ministerpräsident Bouffier und Wirtschaftsminister Posch stolz vor die Presse, als Hessen in einer bundesweiten Studie zur Nummer eins im Wirtschaftsranking gekürt wurde.

„Der Durchschnitt der hessischen Wirtschaftskraft ist höher als in jedem anderen Bundesland; wir werden auch 2012 überdurchschnittlich weiterwachsen; 2,3 Millionen sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer sind ein Rekordniveau,“ waren die Statements der beiden Landespolitiker aus der Staatskanzlei in Wiesbaden.
100 km weiter östlich sieht die Realität anders aus. Im Vogelsberg liegt das BIP (Brutto-Inlandsprodukt) bei 21 000 Euro, weniger als in Mecklenburg-Vorpommern und weit entfernt vom Bundesdurchschnitt von 29 000 Euro.

Dies stellt auch die Studie des Berliner Instituts fest, in der unter anderem die Zukunftsfähigkeit der Ortschaften des Vogelsbergkreises untersucht wurde. Hessen sei in den westlichen Bundesländern das mit dem größten wirtschaftlichen und demografischen Gefälle. Dem kann nicht widersprochen werden, wenn man sich die Zahlen anschaut.

Sozialversicherungspflichtige Arbeitsstellen

Während das Rhein-Main-Gebiet in jeder Hinsicht boomt, sieht es im Vogelsbergkreis anders aus. Zum 30.06.2010 gab es im Vogelsbergkreis 26 892 sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer, in Schlitz 1 746 Personen.
Im Vergleich zum Jahr 2000 ist dies ein Rückgang im Vogelsbergkreis von 7,2 Prozent, in Schlitz von 18,8 Prozent. In Vollzeit waren 2010 in Schlitz 79,1 Prozent beschäftigt, 20,9 Prozent in Teilzeit. Im Vogelsbergkreis waren es 77,4 Prozent Vollzeitbeschäftigte und 22,6 Prozent Teilzeitbeschäftigte. In Index - Punkten ausgedrückt, ist Schlitz von 100 Punkten im Jahr 2000 auf 81 im Jahr 2010 gefallen, der Vogelsbergkreis von 100 auf 93 im selben Zeitraum. Sieht man dagegen den Regierungsbezirk Mittelhessen und das Land Hessen, so sind beide von 100 Punkten im Jahr 2000, nach einem Tiefpunkt im Jahr 2005/06 bei 97 Punkten, 2010 auf knapp über 100 Punkte gewachsen, - kein Rückgang wie im Vogelsberg.

Dabei sind vor allem im produzierenden Gewerbe die sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze geschrumpft. In Schlitz von 51,0 Prozent im Jahr 2000 auf 38,7 Prozent 2010. Im Vogelsbergkreis sieht es besser aus. Hier liegt der Rückgang bei 3,6 Prozentpunkten, von 43,2 auf 39,6 Prozent.

Die Pendler

Was machen die anderen Arbeitnehmer, die zuhause keinen Arbeitsplatz finden? - Sie pendeln. Die Hessenagentur, die viele dieser Daten für das Hessische Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung zusammengestellt hat, bescheinigt Schlitz, dass auf einen Einpendler in die Stadt 3,2 Auspendler kommen. Im Jahr 2000 standen 600 Einpendlern noch 1800 Auspendlern gegenüber. Die Zahl der Einpendler blieb über 10 Jahre hin mit ca. 600 ziemlich konstant. Die Zahl der Auspendler kratzte 2007 erstmals an der Marke von 2 000, im Jahr 2 010 lag sie bei ungefähr 2 100.

Ergänzende Indikatoren

Es gibt ja noch genügend andere Indikatoren, die ermittelt, aber selten veröffentlicht werden. Jeder weiß mittlerweile, dass es in Schlitz 68 Einwohner/qkm sind, im Vogelsbergkreis 75 und in Hessen 287. Das spiegelt auch ein Stück Lebensqualität wider. Gerade, wenn man den Faktor „Quadratmeter pro Einwohner“ nimmt. Da fallen auf jeden Schlitzerländer 454 Quadratmeter, auf den Vogelsberger 500 und auf den Hessen 262 qm. Dies besagt erst etwas, wenn man sich die Aufteilung dieser Fläche ansieht. Bei „dem Hessen“ sind von den 262 qm 42 Prozent Landwirtschaftsfläche und 40 Prozent Waldfläche, der Rest ist bebaut. Im Vogelsberg sind es von den 500 qm 49 Prozent Landwirtschaftsfläche, 39 Prozent Waldfläche und der Rest ist bebaut. Der Schlitzerländer hat von den 454 qm 54 Prozent Waldfläche, also über 245 qm. Die Landwirtschaftsfläche beträgt 36 Prozent und nur 10 Prozent sind bebaut.

Die Wohnungen/Wohnflächen

Die Statistik zeigt für die Großgemeinde Schlitz 3 900 Wohnungen für das Jahr 2010 an. Dies ist eine Steigerung von 5,9 Prozent im Vergleich zum Jahr 2000 und liegt damit leicht über dem Landesdurchschnitt von 5,5 Prozent. Der Vogelsbergkreis liegt mit 47 200 Wohnungen und einem Zuwachs von 4,9 Prozent leicht unter dem Landesschnitt.

Bei der Wohnfläche pro Einwohner ist es ähnlich. Vogelsbergkreis und Schlitzerland liegen beide weit über dem Landesdurchschnitt. Der lag bei 42,8 qm pro Person und einem Zuwachs von 7,3 Prozent zum Jahr 2000. In Schlitz hat jeder Bürger 0,9 qm mehr als im Landesschnitt, ein Zuwachs von 13,1 Prozent. Der Durchschnitt im Vogelsbergkreis ist noch besser. 47,9 qm stehen jedem Vogelsberger zur Verfügung, ein Plus von 14,5 Prozent zum Jahr 2000.

Tourismus

Hier ist Schlitz in den letzten zehn Jahren einfach Spitze. Dies liegt an der Landesmusikakademie. 28 400 Übernachtungen im Jahr 2010 ist eine Steigerung von 116 Prozent zum Jahr 2000. Aber auch der Vogelsbergkreis hat eine Steigerung von 19 Prozent auf 484 500 Übernachtungen.

Viele Zahlen. Jeder kann sie deuten wie er will. Der Schlitzerländer pendelt lieber an die Arbeit, als wegzuziehen. Er genießt, dass von den ihm zur Verfügung stehenden 454 qm Fläche über die Hälfte Wald ist.

Die wirtschaftliche Entwicklung, gerade hinsichtlich qualifizierter Arbeitsplätze, scheint in den letzten Jahren durch Firmen wie Lampenwelt und Blaupunkt Fahrt aufgenommen zu haben. Beobachten wir die Entwicklung weiterhin, denn dies sind Indikatoren, um die Landflucht abzumildern, bzw. sie zu verhindern. Das beschreibt die Studie des Berliner Instituts zur Entwicklung der ländlichen Gemeinden im Vogelsbergkreis, die wir in den nächsten Tagen - speziell fürs Schlitzerland - beleuchten werden.


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